Nur auf den ersten, flüchtigen Blick könnte angenommen werden, die Begriffe „Zeichnung“ und „Universität“ stünden in keiner besonders engen Verbindung zueinander. Scheinen doch das rasche, intuitive, selektive und daher oft alles andere als perfekte Skizzieren einer Sache oder das Festhalten eines Zusammenhangs einer exakten, jederzeit nachvollziehbaren und vermeintlich rein rational motivierten wissenschaftlichen Tätigkeit an der Universität zu widersprechen.
Doch schon auf den zweiten Blick eröffnet sich ein Kosmos an Möglichkeiten für die Zeichnung als einer Grundlage von Forschung, Lehre und Bildung. Daher muss sie auch als das historisch genuine Medium der Universität schlechthin bezeichnet werden. Und an einer traditionsreichen Universität wie der Tübinger verwundert es deshalb nicht, dass die Institution des Universitätszeichenlehrers aus ganz verschiedenen Gründen auf eine lange Geschichte zurückblickt – und bis heute existiert.
Der erste amtliche Nachweis des „Zeichnungs-Institutes“ ist erst 1821 datiert, doch die Dokumentation beginnt mit Johann Christian Partzschefeld, da er sich in einem Brief an den König von 1808 als „Lehrer der Zeichenkunst“ bezeichnet und dafür auch bezahlt wird. Er hatte mit sporadischen Tätigkeiten und als Universitäts-Schreibmeister in Tübingen begonnen, bevor er dann 1816 als Zeichenlehrer eingesetzt wurde. Durch seinen Nachfolger, Christoph Friedrich Dörr, hatte das Institut klare Konturen erhalten: Es stand unter Leitung eines ordentlichen Professors mit zwei angestellten Künstlern, unter deren Ägide der Unterricht ausgebaut werden konnte. Anatomisches und naturhistorisches Zeichnen lehrte Dörr und mit ihm waren künstlerische Gesichtspunkte des Malens und Zeichnens in den Blick der Wissenschaft getreten. Helvig hatte die Aufgabe, alle Gegenstände aus dem Besitz des neuen Institutes aufzunehmen – ebenfalls ein Schritt in Richtung Professionalisierung der Einrichtung.
Die einzelnen Lehrer gaben dem Institut ein jeweils eigenes Gesicht. Leibnitz in der Nachfolge von Dörr hatte das praktische Lehrangebot erweitert und kunstwissenschaftlichen Unterricht erteilt.
Immer wieder werden die Aufgaben des Zeichenlehrers, etwa inwieweit eine künstlerische Ausrichtung des Faches neben den Auftrag eines reinen Zeichenlehrers steht, erörtert. So wird nach Seufferhelds Pensionierung ausführlich die Rolle des Zeichnens und eine mögliche Aufteilung der Aufgaben in Vermittlung künstlerischer Fertigkeiten und Zeichnen für naturwissenschaftliche Institute diskutiert. Man wollte den Anschluss an die Akademien nicht verlieren – vielen Zeichenlehrern verlieh das Ministerium den Professorentitel.
Mit dem Durchbruch der Fotografie und anderer bildgebender Verfahren trat die Bedeutung eines Universitätszeichners mehr und mehr in den Hintergrund, und bei der Berufung von Walter Lehner war ausdrücklich von der Suche nach einem „jungen, frischen, hoffnungsvollen Künstler“ die Rede. Seit Gerth Biese stand die Vermittlung künstlerischer Fertigkeiten, Techniken und künstlerischer Zusammenhänge im Mittelpunkt, bei Martin Schmid kamen der kunsttheoretische Unterricht und die Korrekturstunden noch hinzu.
Heute bietet das Zeicheninstitut unter Frido Hohberger ein breites Angebot nicht nur für Studierende, das vom Aktzeichnen bis zum Töpfern, von der Bildhauerei bis zur Fotografie reicht. Das kunstpraktisch ausgerichtet Programm wird flankiert von Vorträgen und Führungen zu aktuellen zeitgenössischen Themen.
Die Universitätszeichenlehrer waren immer eng mit dem städtischen Leben verbunden: Viele haben Tübinger Motive in ihrer Kunst verarbeitet und liefern somit wichtige bildnerische Zeugnisse städtischer Geschichte. Folglich befinden sich viele Arbeiten dieser Künstler im Besitz des Stadtmuseums, sammelt es doch seit Ende des 19. Jahrhunderts kontinuierlich Tübinger Ansichten. Viele in Tübingen lebende Künstler haben eine Ausbildung im Zeicheninstitut erhalten, und so wirken die Zeichenlehrer in deren Arbeiten bis heute fort.